Arbeiten in den USA
Vor der eigentlichen Auswanderung haben wir uns schon viele Gedanken rund um’s Arbeiten in den USA gemacht. Wir hatten eigentlich keine Ahnung, was genau auf uns zukommt: Kollegen und Bekannte von uns, die sich ebenfalls im Land aufhalten, waren entweder „nur“ Studenten oder in irgend einer Form für eine Schweizerische oder Deutsche Firma tätig. Die meisten davon übrigens mit einem entsprechend angenehmen Arbeitsvertrag, Ferienanspruch und natürlich Gehalt. Doch es ist ganz anders.
Der erste Kontakt
R: Meinen derzeitigen Arbeitgeber habe ich tatsächlich über Linkedin gefunden. Und das ist auch gleich der erste Tipp: Legt euch ein Profil auf dieser Plattform an (und macht nicht den Fehler, auf der Deutschen Seite das Profil anzulegen, weil man später nie 100%ig auf Englisch wechseln kann). Zeigt euch von der besten Seite und verkauft eure bisherigen Positionen und Erfahrungen so detailliert und positiv wie ihr nur könnt. Amerikaner lieben konkrete Zahlen („I was responsible for setting up a management framework for 2000k iPhones and iPads“) und es ist eher ein Vorteil, möglichst viele verschiedene Arbeitgeber aufzuführen. Auch hier gilt: Je mehr ich versucht habt, je mehr Erfahrungen ich gemacht habt, desto besser. Es spielt keine Rolle ob ihr dabei gescheitert seit. Der Versuch zählt, und das hinterlässt Eindruck. Es lohnt sich, regelmässig zu überprüfen wer Euer Profil angeschaut hat. Ich schrieb meinen heutigen Chef einfach mal an – und seine zweite Frage war dann „could you imagine working for our company“? Of course!
S: Nachdem ich die ersten drei Monate ausschliesslich nach Stellen auf meinem Beruf gesucht und unzählige Networking-Anlässe alleine besucht hatte, war ich immer noch ohne Job, deprimiert und etwas vereinsamt. Ich entschied mich, das Feld zu öffnen und habe dann prompt bei einer Bäckerei eine Anstellung gefunden. Beworben hatte ich mich über deren Homepage und nach einem Telefoninterview wurde ich zu einem Probeeinsatz eingeladen. Obwohl die Besitzer Schweizer sind, bin ich zurzeit die einzige Schweizer Angestellte – meine Herkunft war also höchstwahrscheinlich nicht der Anstellungsgrund!
Die Interviews
R: Nach dem ersten Kontakt folgten ein paar Email hin und her. Mitgeschickt habe ich dann mein Dossier, also Lebenslauf, Referenzen und Zeugnisse. Das ist übrigens sehr speziell, Zeugnisse sind gänzlich unbekannt. Vor zwei Wochen wurde mein erster amerikanischer Arbeitgeber von einer anderen Firma übernommen – und ich habe quasi keinen „proof“, dass ich da auch wirklich gearbeitet habe. Alles was bleibt sind meine tollen Worte auf Linkedin. Die Interviews finden meistens am Telefon oder via Skype statt. Die Fragen variieren wohl von Arbeitgeber zu Arbeitgeber. Bei mir waren das zweimal ziemlich lockere Gespräche, ohne künstliche Fragen wie „what kind of animal are you“ or something like that. Besiegelt wurde das Angebot dann schriftlich mit einem „offer letter“.
S: Ich war an mehreren Jobinterviews und kann R.’s Beobachtungen bestätigen. Die Fragen, die mir da gestellt wurden, waren „down-to-earth“, sehr konkret und Job-bezogen. Mein jetziger Arbeitgeber wolltw zum Beispiel wissen, was ich für Erfahrungen im Gastgewerbe habe und welches Credo ich für meine eigene Firma wählen würde. Mir schienen die Interviews dadurch irgendwie ehrlicher, direkter als in der Schweiz. Die Amerikaner fragen genau das, was sie wissen wollen. Es wird nicht so um den heissen Brei herumgeredet.
Die Administration
Die Administration in den USA ist unglaublich. Einerseits ist alles mit knapp 4 Unterschriften erledigt: Es gilt den offer letter zu unterzeichnen, das „handbook“ abzusegnen, ein Steuerformular auszufüllen und benefits wie optionale Krankenkasse anzunehmen oder abzulehnen. Obwohl das sehr schnell passiert ist, sind die Formulare eine Qual: unübersichtlich, unlogisch und teilweise einfach nur überflüssig. Trotzdem ist man nach knapp einer Stunde vollwertiges Mitglied im Team.
Der Alltag
R: Obwohl der Inhalt der gleiche ist wie in Europa, fühlt sich der eigentliche Arbeitsalltag ganz anders an. Verantwortlichkeiten sind klar geregelt, und meine Teamkollegen kümmern sich um nichts, was sie nichts angeht. Natürlich gibt es in Stresssituationen Ausnahmen, doch man kümmert sich meistens nur um die eigenen Projekte. Ist nichts mehr zu tun war’s das und Facebook & Co sind angesagt. Das Tempo ist viel langsamer als jenes in der Schweiz (gut, bei gravierenden IT Problemen ändert sich das und wir müssen entsprechend schnell reagieren). Projekte wie das designen der eigenen Firmenwebsite dauern ewig und drohen zu versanden. Interne Diskussionen ufern immer wieder aus, man macht Witze und driftet vom Thema ab. Sobald es aber um Geld geht – Zeit bei einem Kunden vor Ort, zählt jede Minute und Effizienz ist das oberste Gebot. Auch wenn sonst nichts zu tun ist – verschenkt wird nichts. Bis jetzt ist es mir noch nicht gelungen, diese Gegensätze einzuordnen. Die Qualität der Arbeit ist aber mindestens auf dem gleichen Niveau wie ich es mir aus Europa gewohnt bin (mindestens im Dienstleistungssektor) – der Kunde ist König.
Deprimierend ist die Ausstattung vieler amerikanischer Büros: fensterlos, klein, braun, plüschig. Wie das die Amerikaner aushalten, ist mir ein Rätsel. Es ist wohl nur Gewohnheit, sie kennen es halt nicht anders. Sie sind aber trotzdem offen für neue Dinge: mein Stehpult wurde umgehend angeschafft (ich könnte ja sonst einmal krankheitshalber ausfallen) und verschönert werden darf das Kämmerlein wie einem beliebt. Wässrigen Brühkaffee darf man sich jederzeit gönnen und natürlich wird da auch immer wieder einmal fleissig gequatscht mit Kollegen.
Interessant sind vor allem die Smalltalks in diesen (Pausen-)Situationen: das eigene Englisch reicht oft nicht aus und man verliert schnell den Anschluss. Bis man seinen Satz zusammengewürfelt hat, ist das Thema schon lange abgehakt. Während wir hier im kleinen Team nette Unterhaltungen haben, grüsst uns der Chef am morgen nicht einmal (ausser er begegnet uns gleich im Gang) und nach „how was your weekend“ ist die Konversation vorüber. Ob er also nur mein Chef ist oder doch auch ein Freund kann ich noch nicht beurteilen. Vermutlich merkt man das wenn man die Kündigung einreicht und dann um einen Tipp oder einen Rat fragt.
Der Lohn und so
Und wie sieht es aus mit dem Geld und den sonstigen Benefits? Die Überweisung erfolgt meistens alle zwei Wochen direkt auf’s Konto. Der Arbeitgeber behält einen Teil für die Steuern schon zurück (man kann den Anteil selber festlegen). Ausserdem werden teilweise Krankenkassen (extrem teuer, hier ca. 500 USD pro Person pro Monat), Versicherungen für Zähne und Beiträge für Brillengläser und Kontaktlinsen angeboten.
Über Geld wird hier noch weniger als in der Schweiz gesprochen. Während wir uns „zuhause“ doch einmal über Saläre unterhalten haben, wird das Thema hier totgeschwiegen. Jeder ist selber für sich verantwortlich und verhandelt individuell. Meine Kollegen waren ganz überrascht von mir zu hören, dass ich erstens nur 80% arbeite (ungewöhnlich für die USA; aber wenn man es begründen kann auch kein Problem – obwohl mich der Chef darum gebeten hat, den Kollegen nichts davon zu erzählen) und zweitens eine Gutschrift für die Kosten des Handys zurückerstattet bekomme. Zu erwähnen sind natürlich noch die tollen Krankheits- und Ferientage: Ich geniesse deren 18 pro Jahr, egal ob ich krank bin oder die Zeit für echte Ferien nutze. Längere Auszeiten als eine Woche müssen übrigens vom Chef bewilligt werden.
Das Fazit
Die Arbeit ist also durchaus vergleichbar, aber auch ganz anders. Es ist wirklich toll, für eine rein amerikanische Firma zu arbeiten, als einziger Ausländer, und ohne Hilfe und Support aus Europa. Die Erfahrung ist einmalig und prägt definitiv. Auf Dauer ist aber der jetzige Arbeitgeber nichts und ich muss mir ein innovativeres Umfeld suchen: hellere Büros, tolle Work-Live-Balance und ein dynamischeres Umfeld. Auch das gibt’s in den USA. Da unterzukommen ist aber nicht ganz einfach: die Konkurrenz ist hart. Und nur der beste gewinnt. Also los, verkaufen wir uns mal!