Oben blauer Himmel, Terror vor der Haustüre und wir im Radio

Da war er also, der Boston Marathon. Nach dem St. Patrick’s Day ist das, gemäss unserer amerikanischen Quellen, der zweite grosse Anlass an dem ausgiebig gefeiert, getrunken und natürlich gerannt wird! Das klingt super; begeistert waren wir aber erstmal von einem freien Tag. Naja, wenigstens für einen von uns: Die andere Firma (geführt von Ausländern) wusste leider nichts von der hiesigen Tradition… Am Ende waren wir trotzdem beide am arbeiten – einer im Büro, der andere zu Hause. Und Freunde von uns, die sich den Frühling für einen Trip nach Boston ausgesucht hatten, waren auf dem Weg auf die Aussichtsplattform des Prudential Towers.

Nach den Explosionen stand der ÖV stand erstmal still. Denn der Schock sass tief, soziale Medien liefen heiss und das Mobilfunknetz wurde teilweise ausgeschaltet oder war überlastet. Die Verunsicherung war gross, vor allem als zwei Stunden nach den Explosionen noch ein Feuer in der JFK Bibliothek gemeldet wurde. Während unser Besuch lange Zeit auf dem Tower ausharren mussten, leerten sich die Büros in Cambridge zügig. Wer konnte, organisierte sich eine Mitfahrgelegenheit. Auch wir boten unser Auto an, und unsere gestrandeten Freunde konnten wir glücklicherweise irgendwann in Cambridge aufgabeln, nachdem sie sicher eine Stunde zu Fuss Richtung Somerville gelaufen waren. Am Ende sassen wir zuhause und hörten den Polizeifunk mit (das ist in den USA übrigens legal).

Die folgenden Tage waren nicht nur frühlingshaft warm, sondern auch seltsam ruhig. Der eine Besuch reiste ab, der nächste kam mit dem Bus aus NYC. Auf unseren Arbeitswegen war weder viel Polizei zu sehen, noch war es in der „T“ weniger vollgequetscht. Nur an den Eingängen der Metrostationen („T“!) wurden gelegentlich Taschen und Rucksäcke kontrolliert. Und als Obama mit der Air Force One über die Stadt angeflogen kam schien es fast so, als ob sich die Stadt gefangen hätte. Aber anstatt am TV die Serie „24“ einzuschalten, ging es bald darauf richtig los.

Eine Bombendrohung legte schon Donnerstag das Bundesgericht in Boston lahm und weil einer von uns im Gebäude vis-a-vis arbeitet, wurde er evakuiert. Und am Freitag legte der Gouverneur die Stadt still, und hunderte Einsatzkräfte waren während 12 Stunden im Dauereinsatz. Währenddessen sassen wir zu Hause fest und verfolgten das Geschehen im Internet. Der Polizeifunk war nun abgestellt, weil Idioten live über die Polizeitaktik twitterten. Nur einmal wagten uns in den Supermarkt, die Hauptprobe am Vorabend eines Chorkonzerts wurde abgesagt. Spät am Abend dann endlich die Entwarnung, gerade als wir am Flughafen bereits den dritten Besuch aufgabelten.

Was bleibt ist ein mulmiges Gefühl: Wir überlegten uns den Marathon zu besuchen, und unsere Freunde liefen knapp 20 Minuten vor dem Anschlag an der Dampftopfbombe vorbei. Es bleibt auch ein Bild einer Stadt, die einfach anders ist als andere US-Cities: Alle helfen allen, ohne wenn und aber. Wir fuhren rum mit dem Auto und spielten Taxi. Der eine Arbeitgeber beherbergte während 2 Tagen eine PR-Firma, die während der Tatortsicherung ihr Büro am Copley Square nicht mehr betreten durften. Und der BostonStrong! Fond sammelte schon über 1 Million. Geärgert haben wir uns über Medien in der Schweiz, die nur auf Sensationsberichterstattung aus sind; und über Ignoranz und Überheblichkeit. Und ein bisschen Heimweh haben wir bekommen: Am Sechseläuten lief alles rund. Weder wurden 16 Beine amputiert, noch starben andere Zuschauer. Manchmal vermissen wir diese selbstverständlich hingenommene Sicherheit – und sind einfach nur froh, dass von unseren vielen Freunden und Bekannten alle wohlauf sind.

Interview mit Radio Zürisee vom 19. April 2013

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AirForceOne
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